Räume frei?

English VERSION

Space free?

Katja Hergenhahn and Steffen Lars Popp
Artistic Directors MADE.

Transformations wherever you look. The pandemic behind us, the upheavals of the climate crisis ahead of us, and in the midst of new wars sparked by old logics of occupying space.
The battles go as far as language. „You’re still allowed to say that“ vs. „It’s better not to say that any more“. Speak freely, but what, where and how?* The neoliberal privatisation furore is occupying many spaces in which encounters and negotiations between different interests used to determine the rules of language and behaviour. Until recently, the „public sphere“ seemed to have been relegated to niches, while the rest of the map was dominated by the logic of consumption. And customers are known to be kings. For quite a few people, it seems obvious to perpetuate a concept of freedom that, out of fear of the future, only serves to preserve the lesser of two evils: the status quo.
Moral compass? A good life for ALL? Where is the journey going, what are we leaving behind, what are we taking with us – and who will be in charge in the future?
The momentum of the last few months gives us hope against all the doom and gloom! Suddenly, a previously rather silent public is discovering its democratic room for manoeuvre, which seemed to be increasingly narrowing – and is using it to take a clear stance. The demonstrations against right-wing extremism show us what we had almost forgotten: We have more room for manoeuvre to help shape society than we usually believe!
There is no question that we will have to part with some of our favourite things, but not in a totalitarian gesture of wiping the slate clean, but bit by bit. As quickly as possible, but at a pace that is not completely overwhelming. „The way out is the way through.“ (William S. Burroughs). Renunciation and sustainability on the one hand, co-determination and participation on the other are the keywords of the hour.
And how does the liberal arts react?
Experience has shown that for every door that closes, a new one opens somewhere. The Hessian independent art scene is therefore increasingly returning to its expertise as a free fighter: it is experimenting with ways to break out of traditional production logics and focus more on everyday making. She is also scrutinising her own bubble formation more frequently, reacting to an increasingly diverse society and working to break down barriers. It tries to reclaim public spaces for the free play of the many, or creates new „third places“ for collective encounters and research.
With „Freiräume(n)“ as the festival motto, the 7th edition of MADE. aims to provide a wide-ranging insight into this development and support it with deliberately smaller impulses in the supporting programme.
The selected productions show us exciting aspects of free space: Processes of detachment from traditions, from cultural imprinting, from external constraints and expectations. The search for ourselves, through remembering, experiencing our bodies, questioning our roles. Visions for a new society are playfully explored, but we also look to the margins of democracy – to where right-wing ideologues are trying to gain ground.
For 2024, a majority of dance productions have applied to the festival for the first time; accordingly, dance, choreography and (dance) performances form a focal point of our programme.
We are particularly pleased about the first-time collaborations with the Stadttheater Gießen and the Hessische Theatertage; with the Angewandte Theaterwissenschaft and the Theaterlabor. And with the many other local and national initiatives, each working in their own unique way to expand our shared freedom.
On its 15th anniversary, MADE. once again reflects important themes and artistic trends – and is more diverse than ever.
So may our festivals in Marburg, Darmstadt and Giessen be a free harbour for unleashing „freedom energies“ for the future!

* We are a pleasingly multilingual festival. Information on this is provided with the individual productions; SOMATIC TRATATA and WIEDERKEHR are also suitable for the deaf. For barrier-free/wheelchair-accessible access to the plays, please contact the respective partner theatres. And as far as gendering is concerned: in this newspaper we have opted for sign diversity.


Katja Hergenhahn und Steffen Lars Popp
Künstlerische Leitung MADE.

Transformationen wohin man blickt. Die Pandemie hinter uns, die Umwälzungen der Klimakrise vor uns, und mittendrin in neuen Kriegen, entfacht von alten Raumbesetzungslogiken.
Die Kämpfe gehen bis in die Sprache hinein. »Das wird man doch noch sagen dürfen« vs. »Das sollte man so besser nicht mehr sagen«. Frei Sprechen, aber was wo wie?* Der neoliberale Privatisierungsfuror hält viele Räume besetzt, in denen früher die Begegnung und Aushandlung unterschiedlicher Interessen die Sprach- und Verhaltensregeln bestimmten. »Öffentlichkeit« schien noch bis vor Kurzem in Nischen verdrängt, den Rest der Landkarte beherrschte die Logik des Konsums. Und Kunden sind bekanntlich Könige. Da liegt es für nicht Wenige nahe, einen Freiheitsbegriff zu perpetuieren, der aus Angst vor der Zukunft doch nur der Bewahrung des kleineren Übels dient: des Status quo.
Moralischer Kompass? Ein gutes Leben für ALLE? Wohin geht die Reise, was lassen wir zurück, was nehmen wir mit – und wer hat dabei zukünftig das Sagen?
Die Dynamik der letzten Monate lässt gegen alle Schwarzmalerei hoffen! Plötzlich entdeckt eine bislang eher still gebliebene Öffentlichkeit ihre demokratischen Handlungsspielräume, die sich doch zunehmend zu verengen schienen – und nutzt sie für eine klare Positionierung. Die Demonstrationen gegen Rechtsextremismus zeigen uns, was wir schon fast verlernt hatten: Wir haben mehr Spielräume zur Mitgestaltung von Gesellschaft, als wir meist glauben!
Keine Frage – wir werden uns von einigem Liebgewonnenem trennen müssen, aber nicht durch eine totalitäre Geste des Reinen-Tisch-Machens, sondern Stück für Stück. So schnell wie möglich, aber in einem Tempo, das nicht komplett überfordert. »Der Weg nach Draußen ist der Weg hindurch.« (William S. Burroughs). Verzicht und Nachhaltigkeit auf der einen, Mitsprache und Teilhabe auf der anderen Seite sind die Stichworte der Stunde.
Und wie reagiert die Freie Kunst?
Erfahrungsgemäß geht in der Regel für jede sich schließende Tür irgendwo eine neue auf. Die hessische Freie Szene also, sie besinnt sich zunehmend wieder auf ihr Know-how als Freikämpferin: Sie experimentiert mit Möglichkeiten, aus den überkommenen Produktionslogiken auszusteigen und sich mehr aufs alltagsnahe Machen zu verlegen. Sie hinterfragt häufiger auch ihre eigene Blasenbildung, reagiert auf eine diverser werdende Gesellschaft und arbeitet daran mit, Barrieren abzubauen. Sie versucht, öffentliche Räume für das Freispiel der Vielen zurückzuerobern, oder schafft neue »Dritte Orte« für das gemeinsame Begegnen und Forschen.
Die 7. Ausgabe von MADE. möchte mit „Freiräume(n)“ als Festivalmotto einen breit gefächerten Einblick in diese Entwicklung gewähren und sie mit bewusst gesetzten kleineren Impulsen im Rahmenprogramm unterstützen.
Die ausgewählten Inszenierungen zeigen uns spannende Aspekte des Freiräumens auf: Ablösungsprozesse von Traditionen, von kultureller Prägung, von äußeren Zwängen und Erwartungen. Der Suche nach uns selbst, durch das Erinnern, das Erleben unseres Körpers, das Hinterfragen unserer Rollen. Spielerisch werden Visionen für eine neue Gesellschaft erprobt, aber auch der Blick auf das Abseits der Demokratie gerichtet – dorthin, wo rechte Ideologen versuchen, Land zu gewinnen.
Für 2024 hat sich erstmals eine Mehrzahl an Tanzproduktionen beim Festival beworben; entsprechend bilden Tanz, Choreografie und (Tanz-)Performances einen Schwerpunkt unseres Programms.
Ganz besonders freuen wir uns über die erstmaligen Kooperationen mit dem Stadttheater Gießen und den Hessischen Theatertagen; mit der Angewandten Theaterwissenschaft und dem Theaterlabor. Und mit den vielen anderen lokalen wie bundesweiten Initiativen, die auf ihre jeweils ganz eigene Weise an der Erweiterung unserer gemeinsamen Freiräume arbeiten.
Zum 15-jährigen Bestehen ist MADE. erneut Abbild wichtiger Themen und künstlerischer Tendenzen – und dabei vielfältiger denn je.
Mögen unsere Festivals in Marburg, Darmstadt und Gießen also ein Freihafen sein für das Entfesseln von »Freiheitsenergien« für die Zukunft!

* Wir sind ein erfreulich mehrsprachiges Festival. Informationen hierzu sind entsprechend bei den einzelnen Produktionen angegeben; SOMATIC TRATATA und WIEDERKEHR sind auch für Gehörlose geeignet. Für barrierefreie/rollstuhlgerechte Zugänge zu den Stücken informieren Sie sich bitte bei den jeweiligen Partnertheatern. Und was das Gendern betrifft: In dieser Zeitung haben wir uns für Zeichendiversität entschieden.